Ein Halstuch voller Lügen

Unter einem novembergrauen Wolkenhimmel feiert die Deutsche Demokratische Republik ihren 34. Gründungstag. Sanne ist mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder Niko eben erst nach Berlin gekommen. Es ist der dritte Umzug für das zwölfjährige Mädchen, das bisher noch nie richtige Freunde hatte. Vielleicht, denkt Sanne, liegt es am Verbot der Mutter, bei den Thälmann-Pionieren mitzumachen. Doch um diesmal endlich dazuzugehören, meldet sich das Mädchen heimlich bei der Pionierorganisation an. „Ein Halstuch voller Lügen“ erzählt von Regimevorgaben und Sehnsüchten in einem verschwundenem Land, von echten und falschen Solidaritätsbekundungen und einer Freundschaft, die nichts erschüttern kann.

Hintergrundwissen: Die sozialistische Erziehung in der DDR begann mit dem Eintritt in die Schule, oft auch eher. Pionier zu sein, das blaue, später das rote Halstuch zu tragen, war ein Zeichen dafür, dass man in der Gemeinschaft aufgenommen war. Pionierorganisationen führten verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten für Kinder durch. Und nur wer Pioniere war, hatte später die Chance, die Erweiterte Oberschule zu besuchen.

Zwiespalt-Zeiten: Ein Halstuch voller Lügen

Erfindergeist, Kreativtät und jemanden zu kennen, der jemanden kennt – das ist in der DDR gefragt. Denn was man braucht, gibt es oft nicht. Auf eine Wohnung in Berlin wartet man bis zu sieben Jahre. Also besetzt Sannes Mutter, die sich gerade vom Vater des kleinen Bruders getrennt hat, einfach eine leerstehende Anderthalb-Zimmer-Wohnung in einem Hinterhaus. Am ersten Schultag lernt Sanne Silke kennen. Die beiden finden sofort einen Draht zu einander und um die Freundschaftsbande zu festigen, beschönigt Sanne ihr Leben, für das sie sich ein bisschen schämt. Sie präsentiert ihr Zuhause in einer fremden Wohnung, die einer Bekannten gehört, dichtet der Mutter einen eindrucksvolleren Job an, als diese eigentlich hat und sie gibt an, Mitglied bei den Pionieren zu sein. Ihre Lügengeschichten, die sich anfänglich auf die Anderen auswirken wie ein Magnet und Sanne in die Gruppe integrieren, werden immer mehr zur Last. Und schließlich muss sich Sanne entscheiden, ob sie es riskiert, die Wahrheit zu sagen.

ab 10 Jahren

Kindheit in der DDR

Freundschaft, Solidarität, Lügengeschichten, Familie, Geschichte, Pioniere

Neben der Frage, ob man aus Lügen eine Freundschaft aufbauen kann, beschäftigt sich das Buch von Annette Herzog auch mit politischen Herausforderungen. „Ein Halstuch voller Lügen“ erzählt von den Unterschieden zwischen dem, was in der Schule propagiert wird und dem, was man zu Hause am Küchentisch bespricht. Eine kritikunfähige Regierung und die Stasi lassen den einstigen Gründungsgedanken des Staates nach einer gerechteren Gesellschaft oft bitter schmecken. Neben der Bespitzelung und Verrat gibt es aber auch viel echte Solidarität und Nachbarschaftshilfe. In Frau Kobolt zum Beispiel, der Upycling-Königin der Altstoffannahme, findet die Familie eine liebenswerte Kümmerin.

Annette Herzog ist in der DDR aufgewachsen und hat als junge Mutter mit ihren Zwillingen eine Wohnung besetzt. Die Autorin kennt das Leben als Kind und Erwachsene und das merkt man ihrem Schreiben an. Wer Heranwachsenden etwas über die Kindheit in der DDR erzählen will, der greift unbedingt zu diesem Buch. Mit „Ein Halstuch voller Lügen“ präsentiert sich ein authentischer, gefühlsstarker Zeitzeuge, der gesellschaftlichen, auch heute noch relevanten Themen nachgeht und an wichtige Werte innerhalb der Gemeinschaft erinnert. Klare Empfehlung!

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Informationen zum Kinderbuch
Ein Halstuch voller Lügen
Annette Herzog, Maja Bohn (Illustration)
Magellan Verlag
ISBN: 978-3-7348-4108-8

empfohlenes Alter ab 10 Jahren

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